Sonntag, 22 Juli 2012 [Woche 36-41]
by XShipper
Es ist viel passiert! 



Wenn ich festhalten darf: Ich bin Eva und du bist mein neues Tagebuch. Auf deinen blanken Seiten lastet eine große Bürde, schließlich war dein Vorgänger-Tagebuch mein ständiger Begleiter – in guten wie in schlechten Tagen. Seine Seiten waren voll… voll von Geschichten, Dramen und Abenteuern. Ich hoffe, dass du mir genauso lieb und teuer wirst wie das alte. Ich habe es sicher aufgebahrt. In einer Schublade des Nachttisches neben dem Bett. Denn ich habe den Tick, gerne in alten Erinnerungen zu schmökern. Und du sollst alsbald auch dafür sorgen.

Aber ich sehe schon, ich fang schon wieder an nur unnützes Zeug auf diese Blätter hier zu schreiben. Manchmal kann ich mich einfach nicht beherrschen. Dabei ist der große Geschichtenerzähler in unserer Familie hier mein Mann, Robert. Eigentlich ist er Koch – ein sehr guter Sternekoch, dessen Essen mich jedes Mal dahinschmelzen lässt –, doch seit er Vater geworden ist, zaubert er nicht nur Köstliches zutage sondern auch wirkliche niedliche Erzählungen, die jedes Kinderherz höher schlagen lassen.

Mit seiner Hilfe bin ich erfolgreiche Kinderbuch-Illustratorin und habe bereits 2 solcher Bücher an den Start gebracht. Zweiteres befindet sich sprichwörtlich noch in den Startlöchern. In den letzten Monaten war eigentlich geplant gewesen, eine große Lesetour damit zu unternehmen. Letztlich wurde diese verschoben und der Ersatz war nur sehr klein gehalten worden. Ich fand sie dennoch ganz gut gelungen und vor allem hat sie den Kindern wie auch mir ungeheuren Spaß bereitet. Wenn diese großen, runden Kulleraugen wie gebannt lauschen, wenn sie lachen, weil sie alles auf ihre kindische Weise komisch finden, und am Schluss darum betteln, es soll noch nicht vorbei sein, dann geht mir immer das Herz auf und es tut schon richtig weh, es geschafft zu haben, sie für einen Moment in eine andere, unbeschwerte Welt zu entführen.



Dennoch schlauchte die Tour ganz schön und ich schlief bei jeder sich bietenden Gelegenheit. In den meisten kleinen Städten, in denen unser Trupp stoppte, blieb nie viel Zeit für Sightseeing. Meistens kamen wir an, machten uns schnell im Hotel frisch, fuhren ohne groß die Straßenverkehrsordnung zu beachten zur jeweiligen Kindertagesstätte, dann eine ganze Stunde Lesung mit anschließendem Talk, und schon ging es mit dem Transporter zum nächsten Halt oder gar zum Flughafen.

Das erinnert mich daran, wie ich mich von meinen Mann verabschieden musste als es unverhofft losging. Alles kam ziemlich plötzlich – von jetzt auf gleich, so hatten wir das Gefühl. Wir verlebten gerade ein paar romantische Tage alleine in einem Hotel.



Valentina, unser süßer Fratz, war nicht bei uns. In kuscheligen Decken gehüllt und halb dösend lagen wir uns in den Armen. Ich liebe es einfach, ihn anzuschauen, seine Lippe zu berühren und zu küssen, seine starken Arme um mich zu wissen sowie die Fusseln auf seiner Brust mit meinen Streicheleien noch mehr durcheinander zu zwirblen als auch in seine strahlend grünen Augen zu blicken, die mir so viel Liebe entgegen bringen, und... - doch plötzlich schrillte unser Zimmertelefon. Es war mein Verleger, der schon die Tage zuvor versucht hatte, mich zu erreichen, bis er über Umwege und viel Fragerei herausfand, wo ich mich „versteckt hielte“. Robert hatte mich entführt und die meisten meiner Sachen lagen noch in der Wohnung – unter anderem mein Handy sowie mein altes Tagebuch. Am frühen Abend sollte bereits mein Flieger gehen, also musste ich schleunigst meine deutsche Wenigkeit zum Flughafen kriegen.

Robert zu verlassen und unzählige Kilometer von ihm getrennt zu sein, machte uns beiden sehr zu schaffen. Während ich ein paar aufregende Tage vor mir hatte, plagten Robert bereits die Verlustängste – er würde nur den Küchenstress zur Ablenkung haben. Und wie Valentina auf meine mehrere Tage andauernde Abstinenz reagieren würde, war auch noch fraglich. Daher war der Abschied ziemlich reif für den schnulzigsten Romantik-Film aller Zeiten. Er brachte mich zum Flughafen außerhalb von Verona… extra langsam. Wenn ich ihn nicht so verdammt lieben würde, hätte ich ihm vermutlich eine übergebraten. Mein Gepäck hätte ich mir auch fast selbst aus dem Kofferraum holen müssen, weil er unser Zusammensein im Auto bis zur letzten Sekunde auskosten wollte. Beim Check-in klammerte er sich an meinen Koffer und stand wie ein Häufchen Elend hinter mir – die Stirn in Falten gelegt und sein Blick voller Zweifel, ob dies gerade die richtige Entscheidung war; sein Kopf hing auf Halbmast als wolle er damit seine Trauer des Auf-Wiedersehen-Sagens verdeutlichen und am liebsten hätte er in die Welt hinaus geschrien „VERLASS MICH NICHT, GEHE NICHT, ICH BRAUCHE DICH“. Ich kenne meinen Mann, der hätte das auf jeden Fall getan, wenn es dafür nicht schon zu spät gewesen wäre… ich hatte bereits mein Ticket und ehe er sich versah, klaute ich ihm meinen Koffer aus der Umklammerung und hievte ihn auf das Laufband. Nur die Zeit bis zum Boarding verbrachten wir an einem der vielen Cafes in den hinteren Sitzreihen. Wir hielten uns umschlungen und nuschelten immer wieder Liebesbekenntnisse. Sogar schwören musste ich ihm, dass ich auch ja wieder zu ihm zurückkomme. Ein bisschen war es mir unheimlich, weil ich Robert so gar nicht kannte. Wenn ich es nicht besser wüsste, so würde ich meinen, das italienische Temperament hätte er sich schon sehr gut einverleibt. Spätestens beim Aufruf meines Fliegers, wo ich nur noch die letzten Meter bis zur Sicherheitskontrolle vor mir hatte, war kein Halten mehr für ihn. Es kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit, dass wir einander nicht loslassen konnten und ungeachtet der anderen Fluggäste und Mitarbeiter des Flughafens uns küssten bis zum nahenden Erstickungstot. Erst dann zog mich mein Verleger fort von ihm. Während ich die Absperrungen entlang ging, drehte ich mich immer wieder um, winkte ihm zu und er hauchte mir Luftküsse entgegen. Es war uns auch nicht vergönnt, meinen Weggang hinauszuzögern, denn selbst die Metalldetektoren piepsten zu meinem „Gunsten“ nicht einmal. Zuletzt erklang unser Lied wie auf tragische Weise und sah ich ihn sich wegdrehen… ich konnte nur noch ahnen, was in ihm vorging. Am nächstgelegenen Duty-Free-Shop musste ich mir jedenfalls eine Packung Taschentücher noch kaufen.



Wie bereits im Vorfeld schon erzählt, hab ich nicht viel mitbekommen, wo überall die Reise hinging. Ein paar Namen blieben noch hängen wie Genova, Napoli, Bari oder auch Venedig. Oh, was für eine Stadt. Ich will unbedingt nochmal nach Venedig, um diese faszinierende Metropole mit Robert gemeinsam zu erleben. Der kurzweilige Aufenthalt hatte mich beeindruckt. Der Flair ähnelt stark dem unserer Heimat Verona. Und ich denke, es wäre das ideale Ausflugsziel… vielleicht sogar zum Hochzeitstag?



Während ich weg war, hab ich dadurch leider die Chance verpasst, mich kurz mit Tanja zu treffen. Auch sie befindet sich zurzeit in Italien, aber obwohl wir schon in ein und dem gleichen Land unterwegs sind, fanden wir nicht zueinander. Es wäre jedoch schön gewesen und hätte ihr mit Sicherheit mehr als wohl getan, wenn sie mir persönlich ihr Herz hätte ausschütten können. Dass Ihre Ehe mit Nils diese Wendung nahm, finde ich sehr traurig. Es überkam mich die Frage, ob es soweit hätte kommen müssen, wenn Robert und ich am Fürstenhof bzw. dort im Dorf geblieben wären. Wir waren untereinander beste Freunde und konnten mit unseren jeweiligen Problemen immer ankommen und uns gemeinsam von ihnen befreien, denn zusammen fanden wir stets den Mut und die passende Lösung. Ich wünsche ihr als auch Nils viel Kraft, dass sie mit dieser Situation umzugehen lernen und für sich das Beste daraus machen.

Der Fürstenhof selbst wird demnächst Besuch bekommen. Wenn ich Robert richtig verstanden habe, wird es seinen Bruder kurzweilig dahin verschlagen. Mehr hat er allerdings nicht verraten. Ob Alexander weiterhin so geheimniskrämerisch sein wird – keine Ahnung, aber vielleicht bestellt er von uns aus ja auch ein paar liebe Grüße, sofern er dazu kommt. Robert vermisst seine Eltern schon sehr, was verständlich ist. Gerade jetzt, wo es mit seinem Elternhaus … wie so oft … drunter und drüber geht und er von Verona aus schlecht helfen kann. Mein werter Herr Papa hat indes angekündigt, mal zum Essen bei uns vorbeizuschauen. Wann das jedoch sein wird, weiß nur der liebe Gott.

Oh weh, jetzt hab ich schon wieder so viel geschrieben – das wollte ich doch gar nicht. Mich hier zu beherrschen, fällt mir wirklich schwer. Vor allem wenn ich bei bestem Sommerwetter auf unserer Terrasse sitze und über die Dächer von Verona schauen kann. Ich liebe diese Aussicht und möchte sie gar nie mehr missen.

Also, ich werde jetzt noch die herrliche Sonne genießen und Valentina dabei beobachten, wie sie Mami mit ihrer Püppi spielt… und hoffentlich hat ihr Papa bald Feierabend, ich vermiss ihn ganz schrecklich.

Deine