Verona Diaries - News


Zu unserem 100. Tagebucheintrag von Eva Saalfeld
möchten wir den Gewinnern unseres Jubiläumsgewinnspiels recht herzlich gratulieren.



Sonntag, 12.01.2014 [Woche 114]
by XShipper   
Zauberwelt voller Hexen und einem Schneemann    




Zum eigentlichen Weihnachtsfest, wie es hier in Italien üblich ist zu feiern, nämlich am 6. Januar erst, waren wir wieder unter uns und nur zu dritt. Die Hexe „La Befana“ trieb in der Stadt wieder ihren Klamauk; und sowohl etliche Frauen als auch Männer liefen verkleidet ehrenamtlich durch die Straßen, um den Kleinen wie Großen eine Freude zu bereiten.

Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass mein Vater wenigstens diese typisch italiensche Tradition würdigen würde und vorbei käme. Doch zu meiner Enttäuschung kam er nicht und hinzukommend erfuhren wir auch über zig Ecken, dass seine Ehe mit Käthe, der Schwester von Hildegard Sonnbichler, wohl zum Scheitern verurteilt ist. So fromm er auch scheinen mag, sein Seelenheil sucht er wohl deshalb in der Gnade Gottes, weil er – ohne es vielleicht zu wollen – die Herzen der Frauen bricht und insgeheim nach der Ferne giert, wohin auch immer ihn die Füße tragen. Liebe hin oder her! Zum Glück bin ich nicht wie mein Vater!

Und zum Glück bin ich überhaupt nicht am Fürstenhof. Wieso denk ich denn jetzt schon wieder an diese Frau? Diese Hexe. Oh Gott, bestimmt weil hier überall welche rumspukten – sei es am Tage gewesen oder abends im diffusen Dämmerlicht, wenn die Gassen dunkel und im aufsteigenden warmen Rauch, der aus den Abdeckhauben so mancher Restaurantküchen in den Hinterhöfen hervorquoll, gehüllt waren.

Aber was wäre, wenn ich ihr doch plötzlich gegenüber stände? Dem Schrecken meiner Alpträume längst vergangener Nächte! Was bin ich froh, dass Valentina keine Scheu vor Hexen hat, sonst könnten wir mit ihr gar nicht feiern. Sie hat selten vor irgendetwas Angst. Dem Weihnachtsmann kraulte sie nur zu gern dem Bart, während des Feuerwerks zum Jahreswechsel schlief sie seelenruhig und beim krächzenden Lachen von Befana stieg sie sogar mit ein und lachte auch – jedoch ziemlich schräg in dem Versuch, so ähnlich zu klingen.

Wieder driften meine Gedanken ab… wie seltsam doch, dass beide mit dem gleichen Buchstaben anfangen. Befana und Barbara – die eine ist die Gute, die anderen die deutlich bösere Hexe. Nur vom Aussehen her nehmen sie sich wahrlich nichts.



Ob sie seit ihrer mysteriösen Rückkehr je daran dachte, wie es ihrer Enkelin jetzt wohl geht? Ob sie sie gerne wieder sehen würde? Mir läuft des eiskalt den Rücken runter und nur zu gern würde ich Valentina auf der Stelle irgendwo verstecken – unerreichbar für die Krallen ihrer schrecklichen Großmutter und auf ewig in Sicherheit. Aber dann wäre ich nicht besser wie die ganzen Stiefmütter in den schaurigen Märchen, welche die schönen Töchter ihrer Männer und Könige in irgendwelche Verließe sperren, auf dass sie dort verrotten mögen.

Woher zum Teufel kommen diese Klaubereien? Vielleicht sind es die Tabletten, frage ich mich. Eilig haste ich ins Bad, wo sie in einem meiner Kulturbeutel neben dem Spiegel liegen, und lese bestimmt zum 100. Mal den Beipackzettel. Eigentlich sollte ich ihn in- und auswendig kennen, aber vielleicht habe ich etwas bei den Nebenwirkungen überlesen oder etwas Bestimmtem vorher keine allzu große Bedeutung beigemessen. Diese dämlichen, erniedrigenden, leider erforderlichen Hormontabletten, die mir das Gefühl rauben, selbst als Frau zu sein. Als wäre ich unvollständig und nicht vollkommen, fehl programmiert sowie schadhaft – irgendwo in mir drinnen.

Zurück am Tisch sitzend lese ich immer noch die ellenlange Beschreibung. Nichts Konkretes! Keine Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindelgefühle oder Abgeschlagenheit. Nicht wirklich. Schnell greife rüber zur Schrankwand, hole mein anderes Büchlein hervor und trage dennoch mein Unwohlsein in mein Medizinjournal ein, sodass ich es nicht vergesse und gegebenenfalls doch darauf reagiert werden sollte. Das Journal ist ähnlich wie ein Kalender aufgebaut, und darin trage ich stichpunktartig an jeden verdammten Tag ein, was wann wie wo und vor allem mit wem! Hallo, als ob ich wechselnde Partner hätte oder heiß laufen würde, wenn ein feuriger Italiener im Vorbeigehen meinen Arm streift oder mich anlächelt, wenn sich unsere Wege kreuzen. Oder wie zu Silvester als ich unbeschwert und leichtfüßig mit Markus tanzte und seine Nähe genoss. Ach, du lieber Himmel!

Mit einem lauten Knall schlage ich das Buch zu und starre völlig entsetzt auf meine zitternden Hände. Bitte was? Ok, ganz ruhig, ich bin auch nur eine Frau – vor attraktiven Männern bin ich nicht gefeit. Aber wenn beim nächsten Termin meine Einträge im Partnergespräch erläutert werden, dann bin ich verdammt. Ich öffne es erneut und lese noch einmal, was ich in den letzten Tagen so geschrieben hatte. Mit meinem Finger fahre ich die Zeilen flink hinunter, überfliege meine Worte und seufze erleichternd. Beinahe rutsche ich sogar von meinem Stuhl. Ich erkenne ein Muster und hoffe, das medizinische Personal wird dies auch erkennen. Denn stets nach solch banal erscheinenden Ereignissen oder Aufeinandertreffen, erlag ich später meinen Gefühlen und fühlte mich nur noch mehr zu meinem Mann hingezogen. Nicht selten war ich danach so befreit genug, dass sogar ganze Protokolle jeweils von mir festgehalten wurden. Mir war danach, und für Kinder unter 18 sind diese ganz sicher nichts.

Diese blöden Hormone. Ich blick hinüber und schaue gedankenverloren Valentina hinterher, wie sie durch die Wohnung hechtet und dabei Olaf, ihrem neuen Lieblingskuscheltier, jedes ihrer Verstecke zeigt, von denen ich die meisten natürlich schon kenne. Dabei ist Olaf ein Schneemann und kein Tier wie zum Beispiel ihr Lieblingsesel Emil. Seit wir mit ihr den neuen Kinderfilm im Kino sahen, bekam sie diesen treudoofen Kumpanen nicht mehr aus dem Kopf und wollte ihn unbedingt haben. Jetzt zum Befana-Fest bekam sie ihn, und seither legt sie ihn nicht mehr aus der Hand.

Nach einer Weile blinzle ich und entwirre mich aus meiner versunkenen Welt, da starre ich auf die freie Seite neben der, die ich gerade beschreibe, und mir kommt eine Idee. Ich krame von irgendwo her einen Bleistift vor und bringe schließlich Olaf zu Papier. Vor mich hin grinsend denke ich daran, dass ihn durchaus an Valentinas Kinderzimmerwand im Großformat malen könnte, und mir kribbelt es bereits in den Fingern vor lauter Vorfreude, als wäre ich das Kind hier.



Ja, darüber würde sich Valentina ganz sicher auch freuen.

Deine