Verona Diaries - News

Ho Ho Ho!



Das Jahr 2012 niegt sich dem Ende zu und das Verona Diaries
Team bedankt sich herzlich bei allen Lesern für Ihre Treue

Sonntag, 27.01.2013 [Woche 67]
by XShipper   
An Valentina geklammert    



Die frohe, verrückte und bunt vergnügte Zeit naht unaufhaltsam; immer näher und näher rückt sie an und sollen dazu bestimmt sein, Frohsinn und Heiterkeit unter den Leuten zu verbreiten. Ich glaube, der Sinn der ganzen Karnevalsduselei flieht geradezu vor mir. Zumindest bringe ich nicht gerade den passenden Nerv dafür auf, mich auf diesen Klamauk einstellen zu wollen.

Robert hingegen wuselt schon ganz aufgebracht umher, telefoniert wie ein Weltmeister in der Weltgeschichte rum und lässt sich jetzt schon für sein Restaurant bezüglich des baldigen Karnevalsfestes allerhand Dekorationen anliefern. Nachts sitzt er dann neben mir lange wach im Bett und überlegt, was er speziell für seine Menü-Karte kreieren soll. Und dann fragt er mich ständig, ob er jenes kochen soll und ob mir dieses schmecken würde.

Nicht selten lag ich dieser Nächte zusammen gerollt wie ein Baby an seiner Seite, und doch abgewandt von ihm. Wenn er mit mir sprach, antwortete ich nur knapp oder lediglich mit einem wenig enthusiastisch klingendem „Mhhh“. Vielmehr starrte ich fast geistesgegenwärtig hinaus durch die Lamellen der Jalousien am Schlafzimmerfenster direkt gegenüber unserem Bett. Auf der anderen Seite leistete eine Straßenlaterne ihren wichtigen Dienst, die Nacht zu erleuchten und den Menschen da draußen sicheres Geleit durch die Dunkelheit zu gewähren – für mich wirkte sie wie ein Anker in der Ferne, an dem ich meine nur für mich bestimmten Gedanken ketten konnte… und irgendwie auch mich selbst.

Klingt alles ziemlich deprimierend, nicht wahr? Wohl wahr. Im Kindergarten war Valentina mein Anker des Alltags. Alles, was ich machte, war auf sie fokusziert. Obwohl ich stets noch ein Auge auf all die anderen kleinen Knirpse warf, war sie es, die meine vollste Aufmerksamkeit bekam: Bei der mehrmals täglichen Bad-Routine achtete ich besonders darauf, wie sie ihre Milchzähnchen putzte und half ihr sonst dabei, es richtig zu tun. Das Händchenwaschen erledigten wir gemeinsam und es war mir eine so wonnige Freude, diese kleinen Hände zwischen meinen zu haben. Selbst beim Gang aufs Töpfchen ließ ich sie nicht alleine, aber war ich bedacht darauf, dass niemand zu kurz kam, um gegenüber meinen wachsamen Kolleginnen keinen Verdacht zu wecken. Beim gemeinschaftlichen Essen verteilten wir Erwachsenen uns zwischen den Kindern, wobei ich mich – ich konnte es nicht lassen – neben meinem Murks setzte. Ich zerstampfte ihr die Kartoffeln oder schnitt die Pasta nochmal kleiner; war so vollends um sie bemüht, bis dann doch mal von der anderen Seite hilfesuchend ein „Mia cara zia Evaaa!?“ kam und ein vollgemanschtes Kind mit seinen großen, dunklen Augen zu mir aufblickte. Gar beim Spielen wurde der Defizit größer. Während ich mit aller Sorgfalt wie Sorge darauf achtete, dass Valentina bei diesem Wetter und den kalten Temperaturen gut geschützt und pummelig warm angezogen war, vergaß ich bei den anderen mal hier die Mütze oder die Handschuhe, bei einem unserer Knaben sogar die Schuhe zuzubinden. Als Antonello damit hinaus rannte, um seinen wild umher rennenden Freunden hinterher zu jagen, purzelte er regelrecht aus seinen Schuhen und zog sich eine schlimme Schramme am Kinn zu. Zum Glück ist er ein zäher Bursche und lachte sogar kurze Zeit später wieder als seine ganzen Kameraden es als edle Kriegsverletzung erklärten und er sie erneut fangen durfte. Dennoch war das einer dieser Knackpunkt und ich war untröstlich!

Als ich an jenem Nachmittag nach Hause kam, ließ ich meinen Verdruss über mich selbst an der Wohnung aus. Jedes noch so kleine Staubkorn wurde verflucht und von mir eliminiert. Stunden zogen ins Land, in denen ich überall Staub saugte, durch die Schränke fegte und jede glatte Fläche wischte – wenn nicht sogar die Prozeduren allesamt wiederholte, bis ich mich erschöpft auf die Couch fallen ließ. Nur um dort die Magazine und TV-Zeitschriften gar meine eigene Teetasse als Störenfriede der Gesamtordnung anzusehen und der Putzteufel mich erneut packte.

Auch vor Valentina machte ich keinen Halt, schruppte ich sie in der Badewanne doch so lange, bis sie ihre Fingerchen und Zehchen ganz schrumpelig wurden. Sie war müde und quengelte elendig und verstand den Stress nicht, mit dem ich durch jeden Raum gejagt war und gleichwohl damit verursachte. Also brachte ich sie ins Bett und versuchte mich selbst damit zu beruhigen, in dem ich ihr zuerst eine kurze Geschichte aus einem Fühl-Kinderbuch vorlas und mich ihr Lachen wieder erquickte, wenn sie über die flauschigen Stoffe strich, und ich sie dann leise in den Schlaf sang.

Völlig ausgelaugt, aber doch wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen – so schien es mir –, verweilte ich im Halbdunkel des Wohnzimmers. Gerade als ich meine müden, roten Augen schloss, hörte ich das Tapsen nackter Füße auf dem gefliesten Boden. Es war Valentina, die ohne etwas zu sagen, auf meinen Schoß krabbelte und ihren kleinen Kopf gegen meine Brust lehnte, nur um in meinen Armen wieder einzuschlafen. Ich lächelte, während ich in dieses friedlich schlummernde Gesicht hinab schaute.

In Reichweite erspähte ich ein großes Kuschel-Tuch, und als ich mich seitlich zu diesem hin beugte und nach diesem griff, rutschte das Prinzesschen in eine scheinbar unbequeme Position. Kurz hielt ich inne und beäugte sie aufmerksam. Aber es schien sie nicht zu stören, schlief sie doch einfach weiter. Und so deckte ich uns beide vorsichtig mit der molligen Decke zu. Meine Gedanken drifteten hinfort und ich spürte, wie auch ich langsam in den Schlaf glitt. Zwar nicht für lange, doch für eine erholsame Weile.

Durch irgendein Geräusch von der Straße schreckte ich auf und entschied, dass es Zeit für die endgültige Nachtruhe wäre. So hielt ich den Spatz, der mir mittlerweile wie Blei vorkam, fest umklammert und schritt gemächlich ins Kinderzimmer… ihr Gesabber in meine Halsbeuge störte mich nur wenig. Nachdem ich Valentina vorsichtig bettete, erreichte auch ich das elterliche große, noch leere Bett im Schlafzimmer nebenan. Es war so surreal und machte mich traurig, dass Robert immer noch im Restaurant schuftete anstatt hier bei mir zu sein. Und doch schalte ich mich selbst dafür wie ich die Nächte zuvor so kalt und abwesend zu ihm sein konnte. Mir war es fast so, als würde ich diese Idylle gerade dieser Tage nicht verdienen – ich wusste nur noch nicht, wieso.

Bis ich den Brief von Sandra und Lukas auf dem Nachttisch liegen sah und endlich verstand. Langsam ging ich darauf zu, setzte mich mit dem Rücken zur Tür gewandt und das spärliche Laternenlicht von draußen auf meinem Gesicht Willkommen heißend auf dem Bett nieder und versuchte erneut die Zeilen im Zwielicht zu lesen. Während ich also begriff, welche Art von Depression mich erfasst hatte, ließ mich ein dazu kommendes Gewicht auf der Matratze, welches mich kurz schunkeln ließ, aufblicken – Robert war endlich nach Hause gekommen und saß nun neben mir. Ich konnte seinem Blick nur kurz standhalten, so peinlich berührt war ich, dass ich wieder runter auf die doch so viel Freude verkündenden Worte schaute.

Es war gewiss nicht das Gespräch, was ich letzte Woche noch mit ihm hätte führen wollen, aber es war genau das, was ich in diesem Moment brauchte, obwohl ich es mir selbst nicht zugestehen, geschweige denn danach fragen wollte. Und doch saßen wir nun neben einander und seine Wärme zog mich magisch an. Ähnlich wie Valentina zuvor war ich es nun, die den Schutz und die Geborgenheit suchte und bei meinem Mann fand. Die Stille, die für kurze Zeit uns ergriff, war nicht unangenehm, aber sie war eben nicht von langer Dauer.

„Du hast es gewusst und nichts gesagt, stimmt‘s?“, fragte ich ihn schließlich mit stockender, heiserer Stimme. Er wusste genau, was ich meinte. „Ja…“, war lange Zeit alles, was er sagte, bis er fortfuhr, „… aber ich wollte dir Zeit lassen.“ Ein langer, warmer Atem von ihm strich sanft über mein Haar und seine Hand fuhr stetig meinem Arm auf und ab. „Ich habe es in deinen Augen gesehen – genau in dem Moment, als du mir Brief vorlast. Da war dieses Zucken in deinen Mundwinkeln… genau da!“, meinte er und verdeutlichte seine Beobachtung indem er mit der Fingerspitze eben einen von jenen Mundwinkeln berührte, was mich just in dem Moment auch zusammenzucken ließ. „Du warst ehrlich froh für die zwei und zugleich unglücklich über das hier!“ Er nutzte die Hand, die er eh schon an meinem Gesicht hatte, um damit mein Kinn anzuheben, auf dass ich ihn direkt anschauen musste. „Eva, sei nicht traurig oder enttäuscht darüber, was wir nicht haben. Wir haben doch so viel mehr, worauf wir stolz sein können, wofür wir uns glücklich schätzen können. Sieh uns an! Wir haben uns, oder?“, fragte er mich er eindringlich und ich weiß noch genau, wie sich eine Träne eiligst aufmachte, meine Wange zu benässen ehe Robert sich zu mir beugte und sie wegküsste. Über meine Lippen brachte ich in dem Moment kein Wort, also flüsterte er nur: „Aber es liegt an uns, was wir aus unserem Glück machen. Und zu meinem Glück gehörst du. Aber ich vermisse dein Lachen, Eva, und ich würde alles darum geben, wenn du wieder lachst – für mich oder einfach nur so, weil dich irgendeine Kleinigkeit amüsiert und du darüber lachen kannst wie sonst keine andere.“

Was er sagte, ergriff mich wirklich sehr und ist auch etwas, was ich mir wirklich zu Herzen nehme. An diesem Abend jedenfalls rüttelte es mich wach und ich fühlte mich irgendwie von einer schweren Last befreit. Ich war ihm dankbar für seine Worte und ja, ich war glücklich. Als er schließlich mit Tanja ankam und darüber nachsann, wie schräg unsere Freundin eigentlich auch über alles und jeden lachen kann, meinte er trocken, er könne sie ja anrufen, falls ich mein Lachen doch irgendwo für einen Spottpreis verscherbelt haben sollte. Das war mehr als nur eine Einladung zu einem Klapps und einem warnenden „Wehe dir!“, es brachte ihm auch ein Lachen ein – meines! Und weder die Träne war die Letzte dieser Nacht noch jenes Lachen… der Kerl kann aber auch ganz fies kitzeln, wie gemein! Nun ja, mit Sicherheit kann ich mich doch wieder auf Karneval freuen und gewiss auf den einen wohl berühmten Tag dazwischen auch!

Deine