Sonntag, 16.02.2014 [Woche 118]
by XShipper   
Valentinstag    




In Deutschland würde man wohl vom doppelten Lottchen sprechen, wenn man uns beide zusammenglucken sähe. Es vergeht kaum ein ereignisreicher Tag im Kindergarten, an dem wir nicht gemeinsam mit den Kindern um uns herumtollen und faxen machen. Ich gestehe es mir zwar nicht wirklich ein, aber ich denke, genauso jemanden wie Ella habe ich lange Zeit vermisst – eine gute Freundin, mit der ich vieles gemein habe und mit der ich mich prächtig verstehe… praktisch von dem Moment an, an dem wir uns die Hände reichten.

Ella ist quirlig, lebhaft und vermutlich die endloseste Quasselstrippe, der ich je begegnet bin. Was das angeht, stört mich das keineswegs – ich höre eh gerne zu. Umso erstaunlicher ist es, dass auch sie stets ein offenes Ohr hat, wenn wir mal draußen auf der Bank sitzen, jeder mit einer Decke um uns herum im Hof das wilde Treiben unserer Schützlinge im Auge behalten und ich auch mal zu Wort komme.

Dann erzähle ich ihr von meinem Start hier in Verona. Was meinem Mann und mich hier her verschlug und wie einst damals alles im fernen Deutschland am Fürstenhof, einem 5-Sterne-Hotel und gleichzeitig dem Familienhaus der Saalfelds, begann. Darüber wie Robert und ich uns monatelang im Kreis drehten und einander scheinbar nie näher kamen, und doch unsere Herzen sich mehr und mehr nach dem jeweils anderen verzehrten.

Da ein spezifischer Tag laut Kalender immer näher rückte, so drehten sich auch meine Gedanke zusehends um den Valentinstag. Natürlich mussten wir Frauen uns danach am Projekttag, an dem Samstags die Kita für die Kinder geöffnet hatten, alles erzählen, wie was war und staunten dann nicht schlecht, was sich alles unsere Männer hatten einfallen lassen. Ella war die erste, die wie eine junge Impala-Antilope fröhlich und glücklich strahlend angehüpft kam, kaum dass ich zur Tür rein war.

Bis zum Mittagessen war sie dann nicht mehr still und nutzte sich jede ihr bietende Gelegenheit, mir von ihrem romantischen Tag der Liebe zu erzählen. Mal mit großen, ausschweifenden Gesten und vor allem für alle hörbar, wo mir selbst die Schamesröte ins Gesicht schoss, manchmal auch nur beiläufig im Flüsterton während des Aufräumens oder dem Betten der Kleinen. Als sie endlich fertig war, seufzte sie laut, hatte den verliebten Blick einer 17-jährigen drauf, während sie ihr Gesicht mit diesem zufriedenen Grinsen auf der Spüle abstütze und mich von unten herauf anschaute, um mich dann zu fragen, wie es bei mir so lief.

Ich bin kein Freund von großen Reden und ließ eher Bilder sprechen. Ich wusch den Rest des Geschirrs ab und zückte dann mein Handy. Als Robert und ich unterwegs waren, kam mir ab und zu der Geistesblitz, von hier und da mal ein Foto zu machen. Also zeigte ihr die. Wir hatten frisch aufgebrühten Kaffee, setzten uns an den Küchentisch und ich scrollte durch mein Album. Es waren nicht viele, aber sie halfen, meine Geschichte zu stützen und ihr gleichzeitig was von Verona zu zeigen.

Einige Orte kannte sie noch gar nicht und war hin und weg vom romantischen Flair, den diese ausstrahlten. Auch von den Ideen, die mein Mann für den Valentintags hatte – ich bedachte sie manchmal einem ernsthaften Blick, ob sie sich nicht in Robert verknallen würde, so sehr schwärmte sie plötzlich von einem fremden Mann, dem sie noch nie begegnet war und der glücklich mit ihrer besten Freundin verheiratet ist.

Dass Robert etwas geplant hatte, war ihm schon einige Tage vorher von der Stirn abzulesen. Die vermeintlich heimlich geführten Telefonate, das plötzliche Außerhausgehen für irgendwelche Meetings und seine generelle Heimlichtuerei weckten die Neugier in mir. Ich war keineswegs besorgt, dass mein Mann uneheliche Gedanken hegte. Eher wurden meine Erwartungen an den Valentinstag nur noch mehr in die Höhe geschraubt, während mir meine Idee als Geschenk für ihn immer kleiner und unbedeutender erschien. Ich musste mir daher stetig einbläuen, dass das hier kein Wettrennen war.

Als sich an jenem Tag bereits das Licht der im Nebel liegenden Mittagssonne langsam seinen Weg ins Schlafzimmer bahnte, wurde ich vom aromatischen Kaffeeduft geweckt. Schlaftrunken fasste ich zur anderen Seite des Bettes und griff ich lediglich ins leere Kopfkissen. Ein Stich der Enttäuschung bohrte sich in mein Herz – nicht nur, weil wohl verschlafen hatten, auch wollte ich doch den Tag mit ihm verbringen und nur ihn sehen, wenn ich meine Augen aufschlüge. Ich fühlte, wie mir diese Wunschvorstellung durch die Finger rann. Ich wollte dann lieber noch länger liegen bleiben, dieser Einsamkeit im Bett durch meine Traumwelt entfliehen und darauf warten, bis Robert sich blicken lassen würde, um mich endlich zu wecken. Dennoch riskierte ich einen Blick und konnte dann meine Augen nicht weit genug aufreißen. Mein Plus verdreifachte sich und mein Herz presste sich schmerzhaft von innen an meinen Brustkorb. Da saß er auf der Bettkante, mein Robert. Wer weiß, wie lange er mir schon beim Schlafen zugesehen hatte, doch ihn dort sitzen zu sehen, war für mich das Schönste in diesem Augenblick. Magie erfüllte den Raum als wir beide uns anlächelten. Und ganz ehrlich, einen besseren Start in diesen verheißungsvollen Tag hätte ich mir nicht wünschen können.

Nach einer leichten Mahlzeit mit allerhand Rosenblütenblättern auf dem Tisch als Dekoration entführte der Ritter meiner schlaflosen, traumhaften Nächte seine kleine Prinzessin und mich hinaus in die Stadt der Liebe. Praktisch vor unserer Haustür wartete bereits unsere Kutsche, mit der er uns die wundervollsten Ecke von Verona zeigte.



Das Wetter war zwar trocken, aber kühl, so saßen wir als Pärchen mit unserem Kind in unserer Mitte in warmen Decken auf der Rückbank. Die Tour war stellenweise holprig wegen der vielen gepflasterten Straßenzüge, aber die Aussicht war dafür umso herrlicher. Klare, kalte Luft gepaart mit kuscheliger Körperwärme umgab uns, und zu dritt waren wir eine Einheit.

Anscheinend hatten wir das Gefährt mit einer Pferdestärke den ganzen Tag zu unserer Verfügung. Für eine weitere, kurze Zwischenmahlzeit hielten wir kurz an einem kleinen Imbiss, bis es weiter ging. Der Weg führte hinauf die Berge, bis wir aussteigen und zu Fuß weiter musste. Hand in Hand ging es hinauf zu einem kleinen Cafe. Dort brachten wir eine ganze Weile zu, bis sich auch schon wieder die Sonne senkte und Verona in ein warmes, diffuses Licht hüllte. Dass es bereits so spät geworden war, hatte ich gar nicht mitbekommen – so fokussiert war Robert und ich verlor mich stetig mehr in der Tiefe seiner Seele, wenn unsere Blicke nicht voneinander abwenden konnte.



Der Abstieg kam viel zu früh, doch unsere Kutsche setzte sich auf Wunsch meines Mannes eiligst wieder in Bewegung und brachte uns zurück vor unsere Haustüre. Ich dachte bereits, der Abend wäre gelaufen und käme endlich dazu, ihm mein Geschenk zu geben. Doch Robert hatte anderes im Sinn. George begrüßte uns draußen vorm 12 Apostoli, küsste meine Hand und nahm sich dann Valentina an. Das gehörte wohl mit zu Roberts Plan, denn schon griff er nach meiner Hand und führte mich ins Restaurant.



Es war menschenleer, kein einziger Gast war zu sehen. Augenblicklich machte ich mir Sorgen, ob uns finanzielle Nöte ins Haus stünden. Doch als mein Mann meinen besorgten Blick erhaschte, lächelte er nur und versicherte mir, dass er das extra für uns arrangiert hatte. Die letzten Gäste waren kurz vor unserer Ankunft gegangen und das Restaurant wäre für den normalen Verkehr wieder freigegeben, sobald wir uns die Bäuche voll geschlagen und ein Candlelight-Dinner zu zweit genossen hätten. Ein diebisches Grinsen umspielte seine Lippen und er zog mich in die hinterste Ecke an einen kleinen Tisch, an dem er mich bei Kerzenschein rundum mit den feinsten Speisen und süßesten Desserts verführte. Er gestand mir, dass er sich nicht entscheiden konnte und daher so viel zubereitet hätte… alles alleine, während der normale Küchenbetrieb in der Cucina lief.



Gerade als mir wieder in den Sinn kam, dass ich ja auch etwas für ihn hatte, stürmte er mit mir hinaus auf die belebten Straßen Veronas und hinein ins wilde Nachtleben. Die Stadt vibrierte förmlich und war selbst bis in die schmalsten Gassen beseelt von Liebe. Manchmal konnte ich im Schatten Pärchen ausmachen, die nicht länger hatten warten wollen oder volltrunken auch nicht konnten. Ich grinste in mich hinein und umschloss Roberts Hand nur noch fester, um nicht selbst den Halt zu verlieren und mich dem unstillbaren Drang in mir nachzugeben.

Zuerst glaubte ich, wir würden nur ziellos umher irren, dabei zwar schöne Orte sehen, aber eben ohne konkrete Vorstellungen, wohin uns unserer Weg führen würde, quer durch Verona schlendern. Verona bei Nacht ist wunderschön – egal zu welcher Jahreszeit.



Als wir jedoch über eine Brücke gingen und dabei die Etsch überquerten, überkam es uns fast gleichzeitig und wir wurden zu eines der unzähligen Pärchen, die dem Licht der Laternen zu entkommen versuchten. Atemlos und mit dem kalten Stein im Rücken ließen wir nach einer Weile voneinander ab und setzten schweigend, aber zufrieden unseren Gang nach irgendwo hin fort. Dass wir eigentlich dabei nur zurückgingen, fiel mir zuerst gar nicht auf.

Robert führte uns wohlweißlich zielsicher zu unserem letzten Reisepunkt an diesem Valentinstag und schaute immer wieder zu mir rüber, als ich so langsam begriff. Plötzlich breitete sich vor uns die Piazza dei Signori mit seinen vielen Ständen aus, die zusammen das berühmte Herz „un cuore da scoprire“ ergaben, wenn man es oben her betrachtet.

Und genau das beabsichtigte Robert. Der Pförtner bedachte uns mit einem wissenden Blick, was mir wieder Falten auf die Stirn trieb, und allein bestiegen wir den kleinen Fahrstuhl, der uns in luftige Höhe bringen sollte. Fast hätte ich erwartet, dass dieser aus unerklärlicher Ursache plötzlich stoppen würde und Robert und ich wären darin gefangen, denn die Kabine schwankte doch sehr, als ich mit feuchten Lippen und gierigen Händen gegen die Wand gepresst wurde. Keuchend kamen wir oben an und wir beiden hatte sichtlich unsere Mühe mit den letzten paar Stufen bis zur Aussichtsplattform. Dort oben verschlug es uns erneut den Atem, als wir hinunter blickten.



Es waren die kleinen Dinge, die diesen Tag so besonders machten. Es bedurfte keinen teuren Schmuck oder gleich eine ganze Kreuzfahrt, wir hatten den Tag an uns beliebten Orten verbracht, aßen das Feinste, was Roberts eigene Kochkunst hergab und genossen unsere Stadt, die selbst ein einziges, riesengroßes Geschenk der Liebe war.

Zuhause vergewisserten wir uns noch kurz, dass George als Babysitter seine Pflichten sorgsam erledigt hatte, Valentina bereits schlafend in ihrem Bettchen lag, und schafften es selbst kaum in das unsrige. Die Nacht ließen wir dementsprechend ausklingen. Dass mein Geschenk an ihm dabei völlig in Vergessenheit geraten war, fällt mir irgendwie jetzt erst wieder ein.

Deine