Mittwoch, 02.02.2014 [Woche 117]
by XShipper   
Ella    




Früher war ich immer in den Personalraum gestürmt, fand dort meine beste Freundin Tanja am Tisch sitzend und in ihrem Kaffee rührend vor, und dann quatschten wir über alles, was ihr und mir auf der Seele lag. Tanja erkannte immer sofort an meinem Gesichtsausdruck, ob irgendwas nicht stimmte oder ob gerade irgendeiner Neuigkeit passiert war, von der ich ihr unbedingt erzählen musste. Und dann quasselten wir eine gefühlte Ewigkeit, vergaßen dabei die Zeit und wurden nur dadurch unterbrochen, wenn einer unserer Kollegen durch die Tür kam. Aber Tanja hatte immer ein Ohr für mich und ich hörte ihr aufmerksam zu, wenn sie etwas loswerden wollte. Wir ergänzten uns. Dass sie stets Verständnis zeigte und gute Ratschläge wusste lag an dem Vorteil, dass sie nicht nur zu einer meiner besten Freundinnen geworden war, die ich so dringend am Fürstenhof brauchte, sondern schon seit Jahren Robert in- und auswendig kannte. Oh, ich erinnere mich noch gut all die Gespräche über Robert…

Seit wir jedoch in Verona leben und Tanja nur selten zu Besuch kommt, sind die paar Telefonate, die wir ab und zu führen, kein Ersatz für damals. Selbst wenn mir nach stundenlangen Gesprächen die Ohren brennen, passieren diese Anrufe doch zu selten. Wenn es hoch kommt, telefonieren wir vielleicht nur alle 2 Wochen. Aber gerade in jüngster Zeit merke ich, dass mir genau das fehlt. Sehr sogar. Leider hat Tanja immer so viel zu tun, oder sie erwischt auf dem Handy, wenn ich noch im Kindergarten bin und zum Beispiel gerade meinen Schützlingen beim Klettern Hilfestellung gebe. Da kann ich ja schlecht den Befehl geben „Du bleibst jetzt mit dem Fuß da so hängen, halte dich schön weiter an der oberen Stange fest… und wehe, du rutscht ab!“ und ihren Anruf entgegennehmen. Gerade deswegen kommt es nicht selten vor, dass wir auf unseren ABs gegenseitig minutenlange Nachrichten hinterlassen. Jemand wie sie fehlt mir hier…

Als ich diese Woche ohne Valentina zur Arbeit kam, versammelte sich augenblicklich die anwesende Belegschaft um mich herum. Alle waren sie besorgt und wollten wissen, was passiert war, als ich unbedacht das Wort Unfall fallen ließ. Ich sah ja auch nun auch nicht gerade einwandfrei aus, hatte ich doch den Verband am Arm. Aufgrund der eng geschnittenen Ärmel war die eine Seite nur hochgekrempelt, weil ich den Stoff nicht über die Wunde gezogen bekam. Es drückte zu sehr und brannte. Also war meine offensichtliche Verletzung schwer zu verdecken und somit weithin sichtbar. Die weiße Bandage leuchtete wie eine Leuchtreklame und alle wurden davon magisch angezogen.

Was ich bei all dem Trubel um mich kaum mitbekam, war die neue Erzieherin, die mich mit großen Rehaugen voller Mitgefühl bedachte. Im ersten Moment, als ich das mir noch unbekannte Gesicht bemerkte, welches mich anstarrte, erschrak ich etwas und wich zurück, drehte mich zu meinen alten Kolleginnen um und konzentrierte mich darauf, ihnen von den Vorfällen der letzten Tage zu berichten, als ich in meiner Freizeit mit allabendlichen Besuchen im Krankenhaus füllte. Völlig entsetzt und bestürzt reagierten sie auf die Ereignisse mit Valentina. Selbst die Kleinsten im Kindergarten gesellten sich nur kurze Zeit später dazu und lauschten besorgt. Die aufgescheuchte Herde im Gatter, unsere Prinzessin mitten drin und panisch reagierende Männer, die trotz all ihrer Stärke und Manneskraft tatenlos mit ansehen mussten, wie die Huftiere ausschlugen, sich gegenseitig traten, lauthals tobten, mal zu mal wilder wurden und absolut keine Rücksicht darauf nahmen, dass da ein kleines Mädchen zwischen ihnen lag und weinte. Dass sie sie nicht zu Tode trampelten, war schier ein Wunder gewesen.

Als ich nach meiner Erzählung endlich zu Atem kam, war es still geworden im Spielraum. Irgendwann zwischendrin waren wir vom Flur dorthin gewechselt, ich hatte auf einem Schemel platz genommen, die anderen hatten sich um mich herauf auf Sitzbällen, Matratzen, Mini-Stühlen oder auf dem Boden versammelt, und starrten mich nun an. Wieder fiel mein Blick auf die Kollegin, der mich noch niemand vorgestellt hatte – aber wie auch, ich war ja die ganze Zeit am Reden gewesen. Ich vergewisserte ihnen, dass es Valentina den Umständen entsprechend gut ging, ihr der Papa zuhause Gesellschaft leistet und ihr wahrscheinlich gerade humpelnd hinterher rennt. Mir ginge es auch gut und bis zur Hochzeit meiner Tochter würden eh alle Narben verblasst sein. Dann fragte ich einfach in den Raum hinein, wen wir Neues zu begrüßen hätten, denn – ich deutete auf die junge Frau in der 2. Reihe links von mir – das Gesicht kenne ich noch nicht.

Und plötzlich plauderten alle durcheinander, Erklärungen kamen von allen Seiten, ein Name wurde ohne Unterlass in den Raum geworfen und es herrschte eine freudige Aufruhr – ich verstand jedoch kein ein einziges Wort. Irgendwie unerwartet stand sie dann vor mir und ich erschrak ein weiteres Mal, bis ich ihre ausgestreckte Hand registrierte und sie mich breit angrinste.

„Hi, mein Name ist Ella! Ich bin die Neue. Die haben mich hier vorgestern erst eingestellt – mehr ein Zufall und es kam auch ganz plötzlich. Eigentlich wollte ich hier gar nicht arbeiten, stand einfach nur am Zaun rum und vergaß praktisch die Zeit. Ach, alle haben sie drollig rumgespielt und miteinander getobt, da konnte ich gar nicht weggucken. Naja, und dann kam da Frau Efficie zu mir. Oh Gott, ich hoffe, ich hab ihren Namen richtig ausgesprochen. Die Chefin heißt doch so, oder? Jedenfalls kamen wir ins Gespräch und ich erzählte ihr meinen Männern zuhause. Mein Ehemann hat selten mal einen Tag frei, aber ausgerechnet an dem Tag lag er mit Husten zuhause auf der Couch rum, ihm war ganz elendig … wie Männer eben so sind … und er bestand darauf, dass ich ihm von der Apotheke Medizin bringe, weswegen ich eigentlich nur draußen war. Ansonsten bin immer daheim, passe auf unseren Jungen auf und friste mein Dasein. Und irgendwie führte eins zum anderen, sie fragte mich aus dem blauen Dunst heraus, ob ich meinem Alltag nicht entfliehen will – der Kindergarten könnte etwas Hilfe gebrauchen. Und nun bin ich hier, voila!“

Sie hielt mir immer noch Ihre Hand hin, doch nun war ich es, die sie anstarrte. Ella hatte so schnell gesprochen und quasselte wie ein Wasserfall, dass ich gar nicht so schnell reagieren konnte. Etwas geistesgegenwärtig schüttelte ich ihr die Hand, doch langsam verzog sich mein Gesicht ebenfalls zu einem Lächeln.

„Eh, ich bin Eva.“

Und das sollte der Beginn einer richtig coolen Freundschaft sein. Obwohl man Ellas endlosen Redeschwall kaum bändigen kann, ist sie eine quirlige junge Frau, die ihrerseits auch sehr gut zuhören kann, und vor allem aber auch aus Deutschland kommt.

Deine